Warum wir nun wissen, dass Schlafentzug eine Foltermethode ist!

Der schützende Schoß der Marina lässt nicht ahnen, was gerade vor den Betonmolen des Hafens los ist. Die Letzte war mal wieder eine der unerträglich heißen Nächte, in der man kein Auge zugetan hat. Dementsprechend sehe ich aus wie Frankenstein und brauche, um wieder unter die halbwegs Lebenden zu kommen, ein paar Stunden Schlaf. Nach dem Ablegen verschwinde ich sofort in die Vorschiffskabine, Matthias ist noch fit und segelt ELMO mit Vorsegel durch die stattlichen Wellen. Nur eine Stunde später steht er eingepickt hinter dem Steuerstand, krallt sich am Heckkorb fest und verkündet, dass heute nicht der Tag für eine Überfahrt nach Sizilien ist. Neuer Plan: Anker im von Cagliari etwa 20sm entfernten Villasimius werfen, ein Wenig baden, schlafen um ausgeschlafen und frisch die Überfahrt anzutreten. Klasse Plan! Der Anker fällt, wir schwimmen im glasklaren Wasser, trinken ein Bierchen mit Nick, mit dem Matthias über Facebook ein paar Mal geschrieben hat und der jetzt zufällig in der gleichen Bucht ankert.

Die Sonne ist gerade untergegangen, das Essen steht auf dem Tisch, im gleichen Moment legt Mutter Natur den Schalter um.

Große Roller kommen in die Bucht gewalzt. „Immer diese Motorboote“ – kommt es uns fast zeitgleich über die Lippen. Nach einer Viertelstunde wissen wir – es sind nicht die Motorboote! Dem Wetter- und Wellenforecast geben wir vier langgestreckte Mittelfinger und gehen die Möglichkeiten durch.

Möglichkeit 1: Zweitanker ausbringen, damit ELMO die ganze Zeit mit der Nase im Schwell liegt und sich nicht quer zum Schwell dreht.

Möglichkeit 2: Umankern, in die Bucht hinter einer Landabdeckung, um vor dem aktuellen Schwell geschützt zu liegen.

Möglichkeit 3: Direkt nach Sizilien durchfahren.

Möglichkeit 4: Hoffen das der Schwell einfach aufhört.

Überlegung zu Möglichkeit 1: Zu hoch die Welle, als das man gefahrenlos den Zweitanker ausbringen, sowie einholen kann, außerdem möchten wir nicht in aller Herrgottsfrühe noch den Zweitanker an Bord wuchten, bevor wir uns nach Sizilien aufmachen. Man weiß ja nie, wie die Bedingungen in ein paar Stunden aussehen.

Überlegung zu Möglichkeit 2: Zu viele Fischer waren unterwegs und haben ihre Netze vor die Buchteinfahrten gelegt. Im Dunkeln wollen wir es nicht darauf ankommen lassen, uns diese in die Schraube zu fahren und in eine Legerwall-Situation zu kommen (auflandiger Wind bei Motorschaden, der einen unausweichlich auf’s Land treibt).

Überlegung zu Möglichkeit 3: Keine Option, wir fühlen uns beide nicht in der Lage.

Überlegung zu Möglichkeit 4: Die Hoffnung stirbt zuletzt!

Wir entscheiden uns für – DIE HOFFNUNG STIRBT ZULETZT!

Möglichkeit 4 tritt jedoch nicht ein!

Die Wellen werden nur noch höher. „Schlafen hilft!“, bringe ich mit knirschenden Zähnen hervor und lege mich angepampt neben Matthias ins Bett. Wir sind hellwach. Wälzen uns von einer Seite auf die Andere, während ELMO mit uns in seinem Inneren auf und ab hüpft und immer wieder anfängt rumzurollen. Wir versuchen es mit quer zur Kiellinie schlafen. Eine Stunde später kommt ein geflüstertes „Schläfst du schon?“. Nee, natürlich nicht!

Wir stoßen uns die Köpfe, werden geschwabbelt, rollen hin und her, bis wir nicht mehr wissen wo unten, noch oben ist.

Außerdem ist es heiß, wir liegen im eigenen Sud und garen wie kleine glibberige Weißwürste vor uns hin. Mir reicht es! Ich packe mein vom Schweiß durchnässtes Kopfkissen und ziehe ins Cockpit, werde bei der nächsten Welle, mitsamt den Sitzkissen, auf den Cockpitboden katapultiert. Mittlerweile findet es ELMO anscheinend äußerst spaßig, sich quer zur Welle zu stellen. Das schaukelt nicht nur die Situation, sondern auch ELMO noch mehr auf! Krempel packen, in die Achterkabine ziehen. Auch da wird’s nicht besser, zum Rumrollen und Anstoßen kommt hinzu, dass die Holzplatte unter mir quietscht wie Bolle! Ohropax rein, bringt nix! Umziehen an die Stelle des Bootes, die am wenigsten schwabbelt. Der Salonboden in der Mitte des Schiffes. Nachdem ich unsanft vom Metall des Tischbeins am Kopf und den Rippen gekickt werde, gebe ich auch diesen Schlafplatz auf. Matthias schnarcht mittlerweile mit allen Vieren von sich gestreckt in der Vorschiffskabine. Ich quetsche alle Kissen, die ich finden kann, und das sind 15 Stück, zwischen Salontisch und mich (allein das dauert bei dem Schwell schon eine Viertelstunde), damit ich nicht auch noch vom Sofa, zwischen Salontisch und Sofa auf den Boden falle. Vielleicht war es einfach nur die reine ist-mir-jetzt-alles-scheißegal-Einstellung oder die pure Müdigkeit, die mich dann doch 1,5 Stunden schlafen lässt. Eine halbe Stunde noch bis Sonnenaufgang, wir sind wieder wach. Beide! Beschließen einfach auf alles zu scheißen und loszufahren. Um uns rum hüpfen noch weitere 10 Boote, alle mit unausgeschlafenen, kaputten Menschen im Inneren. Viele haben sich schon in der Nacht vom Acker gemacht. Ob wir den Anker unfallfrei hochgezogen bekommen, wissen wir nicht, wir wollen einfach nur weg. Während Matthias versucht, ELMO halbwegs schaukelfrei zu bekommen, versuche ich den Anker mit dem Bootshaken so weit wie möglich vom Bug wegzuhalten, damit die spitze Kante nicht gleich in unserem Schlafzimmer landet. Als ich „Anker ist klar!“ nach hinten rufe, atmen wir beide auf. Das flaue Gefühl in der Magengrube wird mit ein paar kreativ zusammengeschmierten Broten und lustlosem draufrumkauen bekämpft.

Positiv Denken!!!

„Bald hat es sich gewiss ausgeschwellt!“ – sagen wir abwechselnd, während die Walzen von schräg hinten kommen. Die Segel bleiben eingepackt, denn bei der Welle schlackert alles nur rum.

Mittlerweile ist es schon wieder kurz vor Sonnenuntergang, das gelbe Miststück am Himmel steht tief, strahlt erbarmungslos ins Cockpit und brät uns wie die Hühnchen an den Spießen in den Hühnchenbratwagen vor Einkaufszentren (wir riechen nur nicht so gut).

Außerdem es hat sich immer noch nicht ausgeschwellt. Ich denke an den Satz, den ich mal zu Philipp gesagt hab, während der Überfahrt von Ibiza nach Valencia: „Demut Philipp! Man muss es nur akzeptieren und dann geht’s!“ – Scheiß auf die Demut! Nach dem Schlafmangel ist Akzeptanz gerade nicht so meine Stärke. Wir träumen von einer Nachtfahrt mit 10-15 Knoten Wind von schräg hinten, mit sanften Wellen, die einen in den Schlaf schunkeln. Um einen kühlen Kopf zu bewahren, schmeißen wir die Dusche im Cockpit an. Dass das Wasser nicht einfach auf unserer Haut verdampft, ist mir ein Rätsel. Endlich legt sich die Sonne schlafen und wir starten den Versuch, uns von einer Comicverfilmung ablenken zu lassen, was tatsächlich funktioniert. Die Ofenpizza schmeckt erstaunlich gut. Die Fußball WM muss gerade zu Ende gegangen sein, die Daumen sind immer noch für Kroatien gedrückt.

Von einem netten Herrn am anderen Ende des Funks aus Lampedusa, bekommen wir den Champion del Mundo mitgeteilt.

Die Franzosen. Danach geht’s für mich ins Bett, Matthias versucht die Augen offen zu halten. Wachwechsel nach 3 Stunden und ganzen 60 Minuten Schlaf. Endlich hat sich das Meer beruhigt. Die Wellen werden angenehmer, was sofort für bessere Stimmung sorgt. Der Mond geht als blutrote Sichel auf. Die Sterne sind phantastisch, kein weiteres Boot ist zu sehen, nicht mal ein Tanker. Morgens um halb 10 bekommen wir viel Wind von vorn. Nicht segelbar. Eine Freundin in Deutschland ist Mutter geworden, schreibt mir Mama in einer WhatsApp. Wir hacken gegenan. ELMO kracht in die Wellen, alles scheppert. San Vito lo Capo scheint zum Greifen nah, aber es dauert noch bis zum späten Nachmittag. Hinter der schützenden Hafenmole ist alles voll. Es gibt nur noch Schaukelplätze. Der Schwell verfolgt uns. Kurzes Aufblitzen an Hoffnung auf Ruhe in unseren Augen, als eine Yacht hinter der Mole Anker auf geht. Wir wollen umankern. Doch dann kommt schnell ein Motorboot um die Ecke und lässt seinen Anker genau dort fallen!

Zu viel für unsere Nerven! Matthias brüllt ein lautes „FUCK!“ durch die Bucht und ich breche völlig in Tränen aus, verfluche alles, was mir gerade so in den Weg kommt!

Ich will zurück! An Land! Nach Köln! In unsere Wohnung, die jetzt nicht mehr unsere ist, in der jetzt eine andere Familie wohnt! Ich möchte doch nur ein Bett haben, das sich nicht bewegt, einfach nur still steht, auf betoniertem Boden. Ein Bett, in dem man schlafen kann, ruhig, ohne Rückenschmerzen aufwachen. Ich möchte meine Freunde um mich rum haben und meine Familie. Und ich will eine Toilette haben, von der man nicht runterfällt, auf der man sich nicht den Kopf an der gegenüberliegenden Plexiglasscheibe anstößt und einen geknautschten, fettigen Gesichtsabruck ebendort hinterlässt. Ich möchte die Kaffeekanne auf dem Herd stehen lassen können, ohne das sie vom Schwell umgestoßen wird. Obwohl der Herd schon ausgehangen ist und die Kanne mit Metallgreifern daran gesichert ist, fällt dieses Ding einfach um, verteilt die Kaffeebrühe hinter dem Herd, in den Schapps, in den Bilgen… einfach überall! Die verdammte Erdanziehungskraft zieht die braune Suppe in alle Ritzen. Dass es Stunden dauert, bis man den Dreck entfernt hat, ist Mutter Natur völlig egal.

Noch nicht ein einziges Mal sind wir seekrank geworden, aber nun ist uns beiden schlecht.

Man könnte sich ja auch einfach ins Dinghy setzen und an Land fahren, einfach am Strand schlafen. Aber ich will keine Leute sehen, niemanden um mich rum haben. Ich fühl mich reif für die Klapse, Matthias sich bestimmt auch, erst recht nach meinem Ausbruch. Und dann kommt das fiese Gewissen um die Ecke, das sagt „Ganz schön scheiße von Dir – so zu denken! Du hast gerade das größte Glück dieser Erde, diese Auszeit machen zu dürfen! Was pampst Du eigentlich rum? 1. Hast du es dir selber ausgesucht und 2. gibt es Menschen auf dieser Erde, die das niemals machen könnten! – Also hör auf zu meckern!!! Kack Luxususchi! Kneif die Arschbacken zusammen! Und dann fragt man sich, ob es die richtige Entscheidung war, alles zu verkaufen, eine Wohnung zu kündigen, den sicheren Job hinter sich zu lassen um auf ein Boot zu ziehen. Und dann denkt man sich, es könnte viel schlimmer kommen, also geh ins Bett und schlaf! Schlaf! Schlaf!

Mit Kopf- und Rückenschmerzen kugeln wir uns am nächsten Morgen nach draußen. Den Kaffee setze ich beim Hochgehen schlaftrunken, mit einem halboffenen Auge an. ELMO rollt immer noch rum. Dann erspähe ich einen freien Ankerplatz hinter der Mole!

„Wir gehen jetzt Anker auf! SOFORT! Bevor wieder irgendein anderer auf diese Idee kommt! Ich mach den Kaffee wieder aus, mach Du den Motor an“,

höre ich mich gerade noch zu Matthias rufen, als mehrere Meter von uns entfernt ein weiteres Boot genau diesen Plan hegt. Wir sind zielstrebig, fahren sofort auf die Stelle zu, wo noch was frei ist. Nix mit zwei Mal im Kreis fahren und gucken, ob es überall tief genug ist!

Und dann gibt es doch wieder wunderschöne Momente…

Wir schmeißen den Anker und liegen ruhig.

Das erste Mal kein Schwabbel nach 68 Stunden, das erste Mal mehrere Stunden durchschlafen! Seit 92 Stunden, in denen gerade mal 12,5 Stunden Schlaf für uns drin waren. Eine Wohltat!

 

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