Montenegro – Ein Land voller Kontraste, verschiedener Gefühle und unglaublich unterschiedlicher Welten!

Morgens früh um 8 brummt ELMOs Motor als wir Kotor ein letztes Mal zum Abschied winken! Vorbei an einem weiteren Kreuzfahrtdampfer, der in der Früh seinen Anker in der Bucht hat fallen lassen. Mit den vielen Kajüten sieht das unförmige Etwas aus wie eine monströse, extrem überdimensionierte Legebatterie für Menschen. Dunst liegt über der Bucht von Kotor. Es ist schwer auszumachen, ob es nun Nebel oder der Rauch von den vielen Waldbränden ist, die hier überall wüten. Eine Schande! Seit vier Monaten hat es wohl schon nicht mehr richtig geregnet, was es den Flammen sichtlich einfach macht, sich durch die eigentlich sattgrünen Hügel zu fressen und nur noch schwarze jämmerliche, krumme Abbildungen von einstiger Vegetation und einen großen Aschehaufen zu hinterlassen! Überall sieht man Rauchsäulen an den Hängen der Berge aufsteigen. In der Nacht sehen die Waldbrände bedrohlicher aus – das orange-rot der Flammen ist oft deutlich zu sehen und wird unaufhaltsam größer bis der ganze Gipfel in loderndem Licht brennt. Häufig fragen wir uns, ob die Montenegriner der Flammen nicht mehr Herr werden oder es einfach brennen lassen. Mittlerweile glaube ich das es daran liegt, dass sie einfach zu wenig Mittel für Löschflugzeuge haben und jede Minute ein neuer Brand irgendwo entfacht.

Bunte Sumo-Katzen im Hafen von Tivat

Wir sind auf dem Weg zur Marina Porto Montenegro in Tivat, einer selbsternannten Luxusmarina, die sich damit brüstet, das Monaco der Adria werden zu wollen

Der Gutachter hatte am Abend vorher ohne Murren und Knurren sofort zugestimmt dort hin zu kommen statt nach Herceg Novi – dort wo die Französin unserem ELMO einen mächtigen Hieb verpasste. Wir werden herzlichst in Tivat begrüßt und bekommen einen 1A-Liegeplatz ohne Nachbarn am gleichen Steg, sodass man guten Zugang zum Schaden hat. Gerade festgemacht, noch nicht einmal den Dreck und die Brösel der letzten Tagen auf ELMOs Deck weggeschrubbt, stand der Gutachter schon am Pier. Mit einer Anwältin im Schlepptau. Pow! Was war das? Gutachter und Anwältin?! Sie kommen an Bord, betrachten den Schaden, lassen sich alle Unterlagen sowie das original Unfallprotokoll, welches von beiden Seiten unterschrieben war, zeigen und hören sich unsere Seite der Geschichte an. Ich fühle mich immer noch überrumpelt vom gemeinsamen Auftreten der Gegenseite. Gerade wünsche ich mir ebenfalls einen Anwalt an unsere Seite, als der Gutachter uns nochmal darauf hinweist, den Schaden mit unserer Versicherung zu klären, wir hätten doch bestimmt eine gute Kasko. Matthias kann sich nicht mehr zusammenreißen und wird hörbar sauer! Mit diesem Satz hatte der Gutachter den Schalter gedrückt, der den sonst so ausgeglichenen, freundlichen und kooperativen Menschen zum Kochen brachte. Nachdem Matthias sich wieder fing, stellen wir zum 100. Mal klar, dass nicht wir den Schaden verursacht hatten! Wir appellieren an den gesunden Menschenverstand, die Logik und stellen die Sinnhaftigkeit einer Versicherung in Frage. Wir hatten doch überhaupt nichts falsch gemacht oder war es schon ein Fehler überhaupt auf einem Boot zu sein?! Jetzt sollte ein geeigneter Betrieb gefunden werden, der den Schaden behebt. Das Telefon glüht, einer kommt und schaut sich den Schaden an. Alle dachten der Schaden ist klein, lässt sich leicht beheben: Kurz abschleifen, neues Gelcoat drauf und fertig ist es. Bis Matthias darauf besteht, die Innenverkleidung unseres Schlafzimmers abzunehmen und sich den Schaden nochmals von Innen anzusehen. Der Gutachter, die Anwältin und der Handwerker winken ab und meinen es wäre nur ein äußerlich, oberflächlich, optischer Schaden, außerdem hätte man kein passendes Werkzeug dabei. Also holt Matthias seinen Werkzeugkoffer und macht sich selbst daran einen Teil der Innenverkleidung unter Beobachtung abzunehmen. Alle stehen sie in unserem Schlafzimmer. „Scheiße!“ höre ich Matthias rufen. „Es ist komplett durch gegangen!“ Meine Hoffnung auf einen kleinen Schaden, eine schnelle Reparatur und Weiterfahrt zerplatzt in dem Moment. Ich spüre wie sich die Wut so langsam aus dem Bauchraum nach oben arbeitet, ungern möchte ich die Fassung verlieren, also stehe ich einfach nur spülend, nichtssagend in der Küche und lasse die Wut in dicken Tropfen ins Spülwasser platschen! Wieso muss uns so ein Scheiß passieren?

Wenn Du denkst es geht nicht mehr – kommt von irgendwo VERSTÄNDNIS her

WOW! Zum ersten Mal sind sich plötzlich ausnahmslos alle einig. Der Schaden ist da, er muss behoben werden und das alles ist auch nicht mehr wegzudiskutieren! Im Gespräch erfahren wir, dass der Handwerker ein Slowene ist und aus dem gleichen Ort stammt wie unserer Rigger Tomaz. Tomaz vertrauen wir. Wir wissen, dass er ein Boot nur aus dem Hafen raus lässt, wenn es wirklich in Schuß und top ist. Also – lange Rede, kurze Telefonate nach Deutschland zu unserem Bavaria Händler und nach Slowenien zu Tomaz, wir möchten uns noch eine weitere Meinung einholen. Tomaz bekommen wir leider erst beim Abendessen ans Telefon. Er möchte uns helfen und uns morgen wieder anrufen wenn er mehr Informationen hat. Netterweise gibt er uns noch zwei Kontakte, von denen er weiß, dass sie gute Arbeit machen. Einer in Dubrovnik, einer ein paar 100 Meter entfernt von der Marina, in welcher wir sitzen. Wir machen einen Termin für den nächsten Tag mit Navar Yacht Service aus, die ihre eigene kleine Werft und Marina direkt neben der Marina Montenegro haben, in der wir gerade festgemacht sind.

Bei 38 Grad kann man schon mal einen kleinen Hitzkopf bekommen

Nun sitzen wir da im Monaco der Adria und schütteln nur noch mit den Köpfen – jetzt, da wir wieder alleine mit ELMO sind.

Wir machen einfach das Beste aus der Situation – sind wir uns beide schnell einig. Wir satteln die Klappfahrräder und radeln durch Tivat. Die Wäsche der letzten vier Wochen muss gewaschen werden. Wir packen zwei große graue Müllbeutel und radeln zum Waschsalon – der hat zu. Einen Selfservice gibt es in Montenegro irgendwie nicht. Zum Glück helfen die lustigen Menschen aus dem Marina-Office weiter. Wir können die Wäsche dort lassen und sie kümmern sich darum, lediglich zum Unterschreiben und bezahlen soll Matthias am nächsten Tag vorbei kommen. Frohen Mutes, in der Hoffnung bald wieder mit nach Blüten duftender Wäsche beglückt zu werden, fährt Matthias am nächsten Morgen zum Wäscheservice. Ein halb verzweifeltes Lachen, Ernüchterung, die gesamte Wäsche beim Service waschen zu lassen soll 260 EUR kosten! Matthias lehnt mit den Worten ab, dass wir dann die Kleidungsstücke, die gewaschen werden sollen, auch für dieses Geld neu kaufen könnten und kommt bepackt mit 2 Kleidersäcken auf dem Klapprad zurück geradelt.

Handwäsche ist ganz schön aus der Mode gekommen! Ich kann mich nicht daran erinnern wann ich das letzte Mal eines meiner Kleidungsstücke von Hand gewaschen hätte, nun sind es zwei graue, große Müllbeutel die vor uns liegen. Nachdem endlich alle Wäschestücke von kleinen, festgetackerten ELMO-Schildchen befreit sind, denn die hatten die Mitarbeiter der Wäscherei schon alle beschriftet, sortiert und durchgezählt, waschen und wringen wir, waschen und wringen, waschen und wringen. Bei der Hitze von 38 Grad allerdings ein willkommener, nasser Spaß an der Pier. Eineinhalb Müllsäcke schaffen wir, ELMO ist vollbehangen, ebenso wie unser Wäscheständer (den ich, trotz voriger heftiger Proteste, mittlerweile doch ins Herz geschlossen habe). Jetzt sind nur noch Bettbezüge, Spannbettlaken und Handtücher, Badetücher und Trockentücher über, die es nicht so eilig haben gewaschen zu werden. Die Besitzer der Luxusyachten inklusive deren Crew belächeln uns nur mitleidig, während wir allerdings Spaß haben, den ganzen Krempel mal auf historische Art und Weise sauber zu bekommen.

Aufhängen und einfach mal abhängen!

Jetzt, da alles sauber und aufgehängt ist, haben wir uns ein paar Runden im Marinapool verdient! Schon am Eingang werden wir von der Empfangsdame aufgehalten. Ob wir das erste Mal hier wären, fragt sie uns. Wir bejahen. Das macht dann 27 EUR pro Nase. Aber wir sind doch Gäste der Marina. Ja, lächelt sie, ansonsten wären es ja auch 41 EUR um den Pool benutzen zu dürfen. Wir machen auf dem Absatz kehrt und gehen zu den sanitären Einrichtungen und Duschen. Ausgiebig. Für lau!

Morgens kommt der Handwerker Nummer 1 mit einer Materialprobe Gelcoat vorbei. Die passt so gut zu ELMOs weißer Hautfarbe wie Erdbeermarmelade zu Frikadellen. Der Farbton ist in Montenegro nicht vorrätig. Handwerker Nummer 1 zieht wieder ab. Später kommt Bozo von Navar Yacht Service vorbei um sich alles anzuschauen. Da Matthias dem Gutachter gesagt hatte, dass er gerne noch eine zweite Meinung hätte, standen Gutachter inklusive Anwältin ebenfalls ein paar Minuten später parat um alles zu überwachen. Bozo runzelt die Stirn, denn er vermutet eine arbeitsintensive Reparatur. Die komplette Innenverkleidung von ELMOs Vorschiffskabine auf der Steuerbordseite muss abgenommen werden. Leider muss man dafür einen Teil der Verkleidung zerstören, da man nicht an die Schrauben ran kommt. Weil Bavaria im Werk die Inneneinrichtung getrennt vom Rumpf zusammenbaut, unsicht- und damit unerreichbar verschraubt und dann alles von oben in den Rumpf krant, ist es auch nach Rücksprache mit Bavaria nicht möglich. Von einem Beiboot aus den Schaden zu beheben, während ELMO noch im Wasser liegt, findet Bozo stümperhaft und sagt das er das Boot für diese Reparatur kranen muss. Original Laminatmatten und Gelcoat müssen in Deutschland bestellt werden, vorrätig hat er nichts, man würde erhebliche Farbunterschiede sehen wenn er es mit vorhandenen Materialien machen würde. Das Problem: Montenegro ist nicht in der EU, alles was hier hin geschickt wird muss also durch den Zoll. Das Päckchen ist Gefahrengut und somit ca. 8-10 Werktage unterwegs bevor man überhaupt irgendetwas machen kann.

Ernüchterung!

Eine Zusage für die Reparatur von der französischen Versicherung haben wir noch nicht. Der Gutachter nimmt auf, dass wir die Kosten für die Reparatur, die dadurch entstandenen Kosten für den Marinaaufenthalt und die Vignette gerne ersetzt haben möchten. Wir wollen repariert in Richtung Italien weiterziehen. Da wir die Kosten so gering wie möglich halten wollen und denken, dass es cool wäre der Versicherung ein wenig entgegenzukommen, damit alles ein wenig beschleunigt wird, machen wir den Vorschlag, dass wir ab nun bis zur Reparatur raus fahren, ankern und uns den Rest von Montenegro anschauen werden bis wir etwas von Bozo hören, der unseren Schaden reparieren soll. Dieses Angebot mundet dem Gutachter anscheinend und er willigt ein.

Am gleichen Tag fahren wir noch aus der Marina und verlegen uns in eine Bucht gegenüber von Navar Yacht Service. Matthias fährt mit dem Dinghi einkaufen und wir sind froh das man dort, wo wir liegen nun endlich wieder etwas klares Wasser zum Schwimmen hat. Nach einigem Hin und Her, das hier aber keine Erwähnung finden soll, meldet sich endlich die Versicherung, genau eine Woche nach dem Unfall und gibt das OK für die Reparatur und die Materialbeschaffung. YEHA! Jetzt kann Bozo das Material bestellen und alles ins Rollen bringen. Freitag Abend um 16:40 Uhr.

Am Tag darauf möchten wir gerne weiterziehen. Wir setzen endlich noch mal die Segel weil ein leichter Wind vorhanden ist und gurken ein wenig rum, nur um uns klar zu machen, dass wir ein Segelboot und kein Motorboot sind. Da wir in letzter Zeit aufgrund von Flaute wenig segeln konnten, hatte uns der Motor häufig ausgeholfen und braucht deswegen aber jetzt wieder Futter.

Beim Tanken erzählt uns ein Einheimischer, dass es nicht gut wäre die Nacht außerhalb der Bucht von Kotor zu verbringen, da starke Gewitter im Anmarsch wären. Wir hören auf ihn und fahren vollgetankt dort hin, wo wir her kamen. Ein Zweitanker soll uns in der Nacht mehr Sicherheit auf dem matschigen Grund bieten. So liegen wir wieder am gleichen Ort vor zwei Ankern und warten auf das, was da kommen soll.

Nächtliches Himmelsschauspiel!

In der Nacht geht es dann los. Blitze zucken über uns, ELMO hüpft auf und ab, heftige kühle Böen lassen uns die Haare ins Gesicht peitschen, Regentropfen prasseln auf ELMO ein

Wir sitzen mit Ölzeug und Gummistiefeln im Cockpit und hören alle paar Minuten dem Ankeralarm beim meckern zu. Schauen, ob wir irgendwem zu nahe kommen oder ob wir irgendwo hin driften. Soweit alles safe. Viele Boote verlassen ihren Ankerplatz und fahren Gott weiß wo hin. Am nächsten Morgen sind nur noch wir und ein alter hölzerner Ausflugsdampfer in der Bucht anzutreffen. Auch dieser Tag soll nicht weniger unruhig werden, also entschließen wir uns auch diesen Tag und die Nacht vor zwei Ankern an der gleichen Stelle zu bleiben. Die nächste unruhige Nacht mit Ankeralarm, aufwachen, rumgucken und wach sein bringen wir hinter uns.

Jetzt reicht es! Wir wollen endlich was von Montenegro sehen!

Etwas gerädert fahren wir aus der Bucht von Kotor und landen in einer ruhigen Naturbucht mit kaltem aber sehr klarem Wasser. Die Hügel um uns herum haben einiges an Feuer gesehen. Interessante Farbkontraste von klarem dunkel- und hellblau des Meeres, sandigen und grau-braunen Erdtönen der Felsen, sattem Grün der nicht abgefackelten Pflanzen über ein orange bis braun-rot, der von der Hitze gestreiften Bäume bis hin zu dunklen abgemerkelten schwarzen Skeletten der Bäume erstrecken sich vor uns. Die Bucht heißt Dobra Luka – die gute Bucht. Der Name ist Programm. Wir erkunden einen kleinen Sandstrand, fahren etwas mit Baby-ELMO herum und lassen die Seele baumeln.

Dobra Luka

Am 16. August gehen wir Anker auf und ziehen weiter nach Bigova. Bigova ist eine kleine Bucht, die ein wenig an Griechenland erinnert. Ein Dörfchen erstreckt sich östlich den Berg hinauf, ein Anleger vor einem Restaurant kann 3 – 4 Yachten längstseits beherbergen, hier treffen sich Fischer und Anwohner zum Plauschen. Zwei Labradore liegen in der Mittagssonne und schlummern vor sich hin. In der Bucht wimmelt es nur so von kleinen Fischen. Sinisa, der Chef des Restaurants, hält uns die Leine der Boje entgegen und begrüßt uns herzlich. Wir machen fest, bedanken uns, fragen wo der nächste Supermarkt ist, in dem wir unsere sich dem Ende neigenden Vorräte wieder aufstocken können und beschließen, in Sinisas Restaurant ein verspätetes Frühstück einzunehmen, bevor wir halb verhungert den ganzen kleinen Supermarkt mit samt seines Inhaltes für uns beschlagnahmen. Wir essen ein Club-Sandwich der montenegrinischen Art, welches nicht auf der Karte steht, Sinisa aber hervorzaubert, weil wir keine Baked Beans oder ähnliches „Englisches“ frühstücken wollen.

Sinisa bei der Arbeit. Jetzt fährt er nicht mehr so oft raus und fischt selber. Er hat zu viel mit dem Restaurant und dem Hotel zu tun – sagt er. Sein Vater übernimmt jetzt jeden Tag das Fischen, damit Sinisas Gäste immer frischen Fisch haben.

Sinisa ist ein Möglichmacher!

Nachdem wir unsere Bäuche gestopft, den Ort erkundet und den kleinen Supermarkt geplündert haben, lässt er unsere restliche Wäsche in seinem Hotel waschen. Ich glaube, wir haben einen gewaltigen Sympathiebonus bei ihm. Für ein Zehntel des Preises, den wir in Tivat hätten zahlen müssen. Gegen Abend bringt uns Sinisa die Wäsche ans Boot. Komplett ELMO ist nun vollbehangen mit Bettzeugs, Handtüchern und Trockentüchern, die alle wunderbar sauber duften. Pünktlich zum Sonnenuntergang. Wir sind zu faul zum Kochen und tuckern eine Stunde später in Sinisas Restaurant und essen dort zu Abend.

Wilde Granatäpfel kann man hier direkt an der Straße pflücken

Federvieh trifft sich zum Nachmittagsplausch

Vorbei an süßen Häuschen…

…erkunden wir viele Kirchen wie zum Beispiel diese!

Seelig schlummern wir später auf ELMO ein. Bis uns ein Gewitter wieder aufweckt. Nachts um halb vier. Ich hechte nach oben. Der Wind ist heiß. Als hätte irgendwer einen maßlos überdimensionierten Fön auf Höchststufe eingestellt. Ich schwitze. Die Wäsche ist knochentrocken und bevor die ersten dicken Tropfen herunterprasseln zum Glück auch abgehangen.

Sveti Stefan steuern wir am nächsten Tag an

Ein altes kleines, süßes Fischerdörfchen auf einer vorgelagerten Insel – versprechen die Fotos von anderen Besuchern, die ich mir im Internet angeschaut hatte. Wir fahren endlich unter Segel vorbei an Balkan-Ballermann-Buchten, alle vollgestopft mit Werbe-Sonnenschirmen bis zu 10 Reihen, knallbunte Plastikhüpfluftschlösser für Kinder und Kindgebliebene. Sie pflastern die schönen Sandstrände. Ohrenbetäubende schlechte Technomusik aus den 80ern oder Balkanvolksmusik à la Helene Fischovski wummert uns entgegen. Der Bass kriecht bis in die letzten Windungen der Gedärme. Jetskis und vollgestopfte Touriboote fahren derart nah an uns vorbei, sodass wir uns bedrängt fühlen. Seltsam. Wir sind wohl im Konsum- und Urlaubsepizentrum Montenegros angekommen.

Sveti Stefan bei Tag

Und nur mal so zum Vergleich…
…die andere Seite von Sveti Stefan

Sveti Stefan verspricht auf den ersten Blick einen sehr schönen Landausflug – jedoch für den nächsten Tag, denn am Himmel hinter den Bergen baut sich eine bedrohliche Wolkenschicht auf. Es schwabbelt ganz schön. Bevor der Himmel sich über uns ergießt und die Blitze zucken, bringt Matthias ein weiteres Mal den Zweitanker aus um uns in die Dünung zu ziehen, damit sich ELMO nicht so übel aufschaukelt. Leider bringt es in der Nacht rein gar nichts! Der Wind pfeift, ELMO schaukelt von rechts nach links wie eine Horde kölscher Jecken beim Schunkeln im Zeitraffer. In der Nacht finden wir nicht ein Bisschen Ruhe. Das geht ganz schön an das momentan eh schon dünne Nervenkostüm. Am Morgen wollen wir einfach nur noch runter vom Geschwabbel, ein wenig durch Sveti Stefan schlurfen und schöne alte Hausfassaden und kleine Gässchen anschauen. Dort wo wir anlanden stehen Hotelbauten im Sowjetstiel, soweit das Auge reicht. Viel auf Nutzen, finanziellen Ertrag, weniger auf Schönheit ausgelegt. Lässt sich ausblenden, solang man die kleine Insel Sveti Stefan mit ihren süßen Häuschen im Blick hat. Über einen kleinen Damm wollen wir auf die vorgelagerte Insel. Ein Empfangshäuschen vor dem Damm lassen wir links liegen und wollen die letzten 50 Meter bis zum schönen Fleckchen passieren als uns plötzlich ein Typ zuruft: “Sorry, Mister! This is privat! You are not allowed to go there!“ Wie jetzt?! Wir dürfen Sveti Stefan nicht betreten?! Der Security klärt uns auf. Sveti Stefan ist eine reine Hotelinsel. Ein Investor hat sie sich unter den Nagel gerissen und sie für die Öffentlichkeit abgeschottet. Es kostet 20 EUR pro Person eine geführte Tour durch die Hotelanlage zu machen. Wir sehen auf dem Weg zu einen Kiosk, dass für einen Tag  am Hotelstrand für Normalsterbliche 100 EUR aufgerufen werden. Vom Kioskbesitzer erfahren wir, dass man für die 20 EUR Eintrittsgeld auf Sveti Stefan einmal im Kreis laufen darf und dann sofort wieder die Insel verlassen muss. Er sagt, schon früher wären Promis da gewesen, auch als die Insel noch nicht abgeschottet war. Er kann es nicht verstehen, warum man das Einzige, was nach „altem Montenegro“ aussieht, für die Öffentlichkeit abschottet, geldbringende Leute würden auch ohne einen Urlaub in totaler VIP-Atmosphäre kommen. Wir laufen ein Wenig den Hang hinauf durch Hotelschluchten. Es erinnert mich an die Favela, in welcher Brody in der Serie Homeland festgehalten wurde.

Bauwut!

Mit einer Flasche Sprite und einem neuen Schnorchel knattern wir auf dem Dinghi zurück zu ELMO. Das Wasser ist hier, von den Chipstüten und Plastikbechern abgesehen, die immer wieder an uns vorbei treiben, schön klar, sodass wir erst noch eine Runde schwimmen möchten, bevor wir Sveti Stefan und das unmögliche Geschwabbel endlich verlassen. Beim Tauchgang entdecke ich einen Rochen, der weit unter unseren Füßen durch das Wasser schwebt als würde er fliegen. Er sieht so sanft und ruhig aus.

Jochen der Rochen

Noch eine Nacht mit wenig Schlaf und viel Geschwabbel halte ich nicht aus. Die Laune ist nicht gerade die Beste. Wir dursten nach Kultur und danach Land und Leute zu entdecken.

In der Marina Bar erhoffen wir uns einen ruhigen Liegeplatz und Süßwasser, die Tanks sind mittlerweile leer

Das alles bekommen wir auch. Den gesamten Nachmittag und frühen Abend verbringen wir damit ELMO sauber zu machen, danach sind wir so fertig wie der Hafenhund, der auf dem Rücken vor den Toiletten rumchillt und tief schlummert.

Fix und fertig!

Am nächsten Morgen schauen wir einem Fischer bei seiner Arbeit zu, der direkt hinter ELMO festgemacht hat.

Ein Teil der Ausbeute

Der Roadtrip kann beginnen!

Für den nächsten Tag machen wir uns einen kleinen Toyota Yaris klar. Wir fahren über ganz schön enge Straßen, wo gerade mal ein Auto Platz findet, weichen anderen Autos auf unbefestigtem Schotter am Fahrbahnrand aus, fahren durch Dörfer, die nüchtern und kühl erscheinen, viel Müll liegt an den Straßenrändern. Je weiter wir ins Landesinnere fahren, desto mehr alte, kleine Bergdörfchen mit vielen Kapellen und Friedhöfen erstrecken sich immer mal wieder vor uns.

In den Bergen

Wenn wir möchten, halten wir an und schauen uns um. Viele Häuser scheinen zwar bewohnt aber niemand ist zu sehen. Hier wird noch viel selbst angebaut. Der Skadarsko Jezero, ein See, der Montenegro und Albanien verbindet ist der Punkt, den wir ansteuern.

Skadarsko Jezero

Die herrliche Landschaft ist mannigfaltig, man kann sich gar nicht sattsehen! Kühe passieren die Straße und weiden am Rand. Auf einer kurvenreichen Bergstrecke, irgendwo im Nirgendwo, halten wir an und helfen zwei Mädels aus Köln mit Internet aus. Sie hatten vor zwei Stunden einen Unfall mit ihrem Mietwagen und warten seitdem auf die Polizei. Ein weißer Transporter mit schottischem Kennzeichen war ihnen reingefahren und hatte sich aus dem Staub gemacht, nachdem der Fahrer den Schaden sah, den er verursacht hatte. Als wir nicht mehr helfen können fahren wir weiter.

Stehengeblieben

Hier oben wüten viele Waldbrände

Manchmal sitzen Einheimische an den Straßenrändern und verkaufen Selbstgemachtes. Am liebsten würde ich ihnen alles abkaufen! Auf den Bauernhöfen stehen uralte Bestellungsmaschinen für die Felder. Hier oben in den Bergen ist die Zeit stehen geblieben. Genau das ist es, was man da unten so vermisst. Die ganze künstliche Plastikwelt, ausgelegt auf Konsum und zahlungswillige Touristen, überdeckt genau das – das charmante, ganz einfache, ursprüngliche Montenegro. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit bis auch hier die großen Unternehmen der Welt sich ihre Denkmäler setzen. Hin- und Hergerissen zischen die Gefühle durch mich. Montenegro ist wahrscheinlich ein weiteres Land im Umbruch. Was heißt, dass sie das Geld der Touristen benötigen um Montenegro zu einem attraktiven Urlaubsziel zu machen, was ja auch nicht schlecht für das Einkommen und den Lebensstandard der Menschen ist. In Kotor ist es schon gelungen, dort hat man jedoch im Gegensatz zu anderen Orten oder Städten darauf geachtet, die alte Bauweise nicht zu zerstören um etwas Neues draufzusetzen, sondern hat sich daran gemacht das Alte zu bewahren, es im gleichen Stil weiterzuentwickeln, nur wenn nötig. Überall sprießen neue Marinas aus dem Boden, die einen Touch von Phantasialand haben. Neue Hotels werden ohne Rücksicht auf Stil und Natur in die Landschaft betoniert. Eng an eng, wie die Sonnenschirme an den Stränden, wie die Sardinen in der Büchse.

Denk mal!

Vielleicht ist aber auch genau das der osteuropäische Stil und es kommt mir einfach nur so fremd und kalt und brachial vor, weil ich es nicht gewohnt bin. Vielleicht hab ich auch einen Kulturschock. Im alten Bar – Stari Grad Bar – verbringen wir die Abendstunden, stolpern schwitzend, mit geweiteten Augen durch die Ruinen.

Stari Bar

Aus der Sicht einer jungen Künstlerin

Die Stadt wurde 1979 von den Einwohnern verlassen, nachdem das Aquädukt nach einem verheerendem Erdbeben eingefallen war und verfällt nun, wird aber so langsam zu einem Kulturtreffpunkt. In ein paar Jahren wird es wohl eines der schönen Touristenmagneten in der Region sein.

Bis 1979 waren die Ruinen noch bewohnt.

Heute wird Stari Bar immer mehr zu einem Kulturtreffpunkt

Am Abend fahren wir zurück nach Bar. Am Einkaufszentrum machen wir halt. Wenn man schon mal ein Auto hat, kann man auch auf bequeme Art Vorrat bunkern. Mit drei Einkaufswagen stehen wir an der Kasse und ich denk mir „Worüber machst du dir eigentlich Gedanken Sarah?! – Bist doch selbst nicht besser! Magst den Luxus, Wasser in Plastikflaschen als Sixpacks verpackt, 3-lagiges Toilettenpapier und Milkaschokolade in Montenegro zu kaufen!“ Im Wechselbad der Gefühle sitze ich auf dem Beifahrersitz. Spät essen wir zu Abend, im Hintergrund spielt eine lokale Band auf der Bühne der Kirmes, später knallen Feuerwerkskörper in die Luft und erstrahlen vor dem Berg, der gerade in orange-roten Flammen steht, in vielen bunten Farben.

Ein kontrastreicher Tag geht zu Ende

Die Küste Montenegros haben wir bis kurz vor Albaniens Grenze unter die Lupe nehmen können. Hier gibt es leider für Segler nicht viele geschützte Buchten. In der Tat zwei, neben der Bucht von Kotor. Dobra Luka und Bigova. Der Schwell läuft oft genau in die Buchten rein, was einen wahnsinnig machen kann, weil man so stark hin- und herschwappt, sodass man noch nicht mal auch nur ein Auge zu bekommt. Man fährt wohl eher von Marina zu Marina.

Auch Montag Nacht befinden wir uns wieder im Wellenbad und lassen uns noch eine Runde vor Budva durchshaken. Windgeschützt liegen wir vor einer mit Hotels und Apartments bewucherten Felswand mitten im Schwell während am Horizont Blitze auf das Meer einschlagen und Wasserfontänen in die Luft sprühen. Ich finde es hier nicht mehr ganz so toll und wünsche mich nach Kroatien zurück oder schon auf den Weg gen Italien. Vorerst fahren wir da hin, wo es „dobro“ war – in die Dobra Luka.

ELMO in der Bucht Dobra Luka

Mit Solarenergie, selbstgebackenem Brot, vollen Wassertanks, wenig Schwell und Natur pur werde ich hier wohl auch wieder die Muße haben, einen Blogeintrag zu tippen. Versteht mich nicht falsch, Montenegro hat unglaublich schöne Natur, krasse Berge, tolle, nette und sehr gastfreundliche Menschen, geschmacksintensives Gemüse und Obst, wie man es aus Omas Garten kennt, sowie phantastische Örtchen zu bieten, doch da, wo die Menschen Urlaub machen, ist es uns häufig zu überfüllt, in erster Linie sehr laut und stressig. Vielleicht bleiben wir einfach wirklich bis zur Reparatur in der Dobra Luka, der guten Bucht, und erkunden hier das Umfeld.

Allein in der Bucht!

 

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