Ein kleines Monster namens Hafenkoller, Deutschland geht in die Verlängerung und eine Trennung auf Zeit.

Da kommt er leise daher geschlichen und setzt sich, fast unbemerkt, mit seinem dicken Hintern mitten in ELMOs Cockpit – der Hafenkoller! Ein paar Wochen vor dem weihnachtlichen Abflug nach Deutschland. Das gute Wetter rund um Valencia hat sich verabschiedet. Ein kalter Wind pfeift über die Stege und um die verlassenen Boote. Niemand ist zu sehen, außer die Marineros, die ab und an überprüfen, ob alle Boote ordentlich vertäut sind.

Kampfansage an den Hafenkoller!

Wir sind uns einig, dass wir dieses kleine Monster nicht gebrauchen können und bekämpfen es mit einem kleinen Ausflug unter Segeln vor den Stadtstrand Valencias. Dieser Moment – wenn man rausfährt und nach der schützenden Mole des Hafens die Dünung des Meeres spürt – unfassbar gut!

Es fühlt sich an, als wären die sanften Wellen das Atmen der Natur.

Anker raus. Kochen während sich ELMO aufschaukelt – etwas, das man auch schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr hatte. Eingepackt in alle warmen Klamotten, die unsere zwei kleinen Schränke so hergeben, machen wir eingefroren am Schwimmsteg fest und wünschen uns mal wieder eine eingebaute Dieselheizung. Manche Tage gehen so zäh vorüber, als wären sie dickflüssiger, cremiger Honig. Wir suchten Filme und Serien durch, fahren mal zum Einkaufen, ein anderes Mal in die Stadt damit Matthias eine neue Frisur bekommt. Ich überlege mal wieder Nichtraucher zu werden und steige auf die E-Zigarette um. Gerade auf dem Sprung zum Abendessen in die Stadt zu fahren, fällt ein Gummi, welches eigentlich meine Yogamatte zusammen halten soll, ins Wasser. Beim Versuch dieses mit dem Bootshaken herauszufischen, macht es einen noch größeren „Plopp“ und alles Blut meines Körpers fließt mir schlagartig in den Kopf und das Adrenalin durch den kompletten Körper – DAS HANDY!!! – Nein! Die E-Zigarette war es! Die lag nun in 2,50m Tiefe auf einem Stein. „Scheiße – explodieren die Dinger nicht?! Wir müssen sie auf alle Fälle da unten rausfischen, bevor wir die Heimat des Oktopusses und die von vielen weiteren Tieren verpesten.“ Zum Glück hatte sich Matthias vor Kurzem einen Neoprenanzug besorgt, hierfür wurde er das erste Mal im Hafenbecken auf Funktion getestet. Glücklicherweise hält das Ding echt warm im winterkalten Hafenwasser, aber hat dafür auch einen heftigen Auftrieb, sodass sich Matthias noch eine Metallkette umbinden muss um 2,50m tiefer zu kommen. Lebensraum der Unterwasser-Nachbarn gesichert. E-Zigarette für den Mülleimer geborgen. Abendessen 3 Stunden später. Und dann bekamen wir plötzlich noch die Nachricht, dass ein Päckchen vom Ehrenfeld Yacht Club im Marina Office angekommen ist.

ELMO bekommt Lebenslänglich im Ehrenfeld Yacht Club

Yacht Clubs – das sind doch Segler in weißen Hosen, mit aufgestellten Polohemdkragen, die sich zu elitärem Fachsimpeln mit Schampus treffen – dachten wir immer! Schublade auf, Menschen rein, Schublade zu. Weg mit den verdammten Vorurteilen! Denn jetzt gibt es einen Yacht Club nach unserem Gusto – den wahrscheinlich legersten Yacht Club ganz Kölns, den Ehrenfeld Yacht Club! Mal wieder eine klasse Idee von Paul, dem Besitzer von Ehrenfeld Apparel. Angefangen hat er vor neun Jahren mit einem Wäscheständer und selbstbedruckten T-Shirts auf dem Körnerstraßenfest in Kölner Veedel Ehrenfeld. Mittlerweile hat Paul zwei Ladenlokale vollgepackt mit Mode und Accessoires, die seine Designs tragen. Es ist glaube ich nicht übertrieben, wenn ich sage, dass sich in fast jedem Haushalt Kölns eines seiner T-Shirts, Hoodies, Kappen oder Taschen befinden. So bin ich auch schier ausgerastet, als ich Pauls neue Designs auf Instagram sah – Ehrenfeld Yacht Club! Das passt wie Arsch auf Eimer – ELMO musste einfach Mitglied werden! Und ELMO wurde Mitglied – sogar lebenslänglich.

Raus aus dem Warmen, rein ins Kalte! Wir fliegen nach Deutschland und lassen ELMO allein in Spanien.

Der 21. Dezember. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube verlassen wir ELMO gemeinsam. Das erste Mal für länger als ein paar Stunden. Es geht nach Deutschland. Die Trennung fällt nicht leicht, auch wenn die letzte Woche zu reinem Abwarten und Vorbereiten mutierte und es eigentlich zu einer willkommenen Abwechslung des Hafenkollers werden sollte. Seltsam alles dort im Hafen liegen zu lassen, festgemacht an ein paar blauen Leinen mit Ruckdämpfern.

bye bye KLEINER

Mit Verspätung kommen wir im tristen, verregneten und nasskalten Deutschland an. Sehnsüchtig stehen wir auf Kölns kleinstem, aber schönsten Weihnachtsmarkt. Endlich können wir die Freunde treffen, die wir das letzte Mal sahen, als wir all unser Hab und Gut in ein paar Kartons hatten, unser Leben in Köln aufgaben, um auf 11 Meter Plastik im Mittelmeer zu wohnen. Wunderschön die Gesichter zu sehen, Stories zu lauschen und ein wenig Glühwein zu schlürfen (ok, es war nicht „ein wenig“ eher ein bisschen mehr), zu sehen wie groß die Kleinsten geworden sind und viel, viel reden. Genügend Zeit bleibt leider nicht wirklich bis die Bahn schon wieder losrollt, die uns ins weihnachtliche Familientreffen befördern soll.

Ich hatte ja auf eine weiße Weihnacht, schön kitschig, mit richtig dicken Schneeflocken gehofft – da bleibt einem aber wohl auch dieses Jahr der Schnabel trocken! Wie gut das mein Vater mir ein kleines Eimerchen mit Schnee von vor zwei Wochen in der Tiefkühltruhe aufbewahrt hat! Ich fiel vor Lachen beinahe vom Rattanstuhl.

Schnee aus der Dose.

Weihnachten war einfach wunderbar! Selbst Matthias, der eigentlich nicht wirklich was von Feiertagen wie Weihnachten, Ostern oder sogar auch Geburtstage hält, ist sichtlich froh, diese Tage mit der Familie zu verbringen.

Weihnachten in Nürnberg.

Es tut gut dort zu sein, wo man vermeintlich alle Ecken kennt, Familie und Freunde sind und Duschen, groß und mit unendlich viel heißem Wasser!

Kurz bevor wir uns wieder auf den Weg in den Süden machen wollen, geht es mit der Gesundheit meiner Mutter bergab. Wir beschließen den Flug verfallen zu lassen und dort zu bleiben. Mit gutem Gewissen 1.731km entfernt auf dem Mittelmeer sitzen, wenn es jemandem, den man liebt, nicht gut geht – geht einfach gar nicht! Und wieder was gelernt für’s Leben!

Blut ist dicker als Salzwasser!

An Silvester verabschiedet sich das alte Jahr wunderbar ruhig, mit einem riesigen Tisch voller Raclette-Pfännchen, viel zu viel Käse und Fleisch, wunderbar unaufgeregt am Tisch von Philipp und Alena. Die nächsten Wochen gehen einem, auch wenn nicht viel passiert, irgendwie an die Substanz. Arzt- und Krankenhausbesuche hier und da, nicht wissen, was da wirklich los ist und wie man helfen kann. Das Ganze in einer Zeit, in der die ganze Welt im Feiertagsmodus ist oder gerade erst die Zahnräder anschiebt, damit das neue Jahr so langsam mal wieder in die Gänge kommt.

Im Wald spazieren zu gehen ist das Gefühl von Heimat.

Stundenlang habe ich früher an diesem kleinen Bach gespielt. Stundenlang saß ich dort als ich älter wurde – mit dem treuestem Freund. Stundenlang könnte ich auch heute noch dort sitzen … … wär es nicht so kalt.

Kleine Kunstwerke

Durch den Wald in den Nebel.

Und dann läuft die Miete für den Hafen auch noch aus. Wir stehen nun vor der Entscheidung ob wir täglich oder für weitere drei Monate den Hafenliegeplatz in Valencia bezahlen sollen. Seit 2018 kann man den Liegeplatz nicht mehr monatlich buchen, die Staffelung fängt nun bei drei Monaten an. Ab dem 25. Februar rechnet es sich für uns, die drei Monate zu nehmen. Fakten auf den Tisch: Wir wissen nicht, wann es meiner Mutter wieder besser geht, sodass ich mit ruhigem Gewissen nach Valencia fliegen kann. Wir haben keine Heizung und sind bis die Segelsaison wieder anfängt eh an die Marinas gebunden – ohne Heizlüfter müsste man uns wohl mit dem Eiskratzer aus ELMO entfernen. Der Wettervorhersage für Spanien sieht nicht danach aus, als würden wir in den nächsten Wochen massig Strecke machen. Valencia ist von den drei Marinas, die noch in Frage kommen würden, die Günstigste (wenn man Strom und Wasser mit einrechnet). Wir kennen den Liegeplatz und wissen das ELMO dort auch bei starken Winden sehr sicher liegt. Es wäre natürlich super Cartagena, Almeria und Malaga sowie Granada und die Alhambra zu entdecken, jedoch würden wir uns bei den Temperaturen nicht auf einem unbeheizten Boot in dieses Abenteuer stürzen.

3 Monate gebucht!

Da denkt man, man kennt jeden Zipfel seiner Heimat und dann steht man plötzlich vor dieser verrückten Architektur.

Ich war so fasziniert von dieser Kirche, dass ich die Kinnlade vor lauter Staunen nicht mehr zu bekommen habe. Leider steht sie sehr versteckt an einem Ort, der als Präsentation der Architektur nicht wirklich gerecht wird – auf dem Rasthof in Wilnsdorf. Es ist die Autobahnkirche Siegerland.

Matthias fliegt schon ein wenig früher zurück um das Ankerlicht mit Darren zu reparieren, die Zahlung in der Marina zu leisten und um ELMO schimmel- sowie tierfrei zu halten, denn wir haben unser kleines Bötchen so hinterlassen, als würden wir nach etwas mehr als einer Woche wieder dort sein. Matthias gründet mit Stephen und Darren den „Club der einsamen Herzen – Marina Real Juan Carlos I“ und gönnt sich ab und an, beim Clubtreffen zum romantischen Sonnenuntergang ein Bierchen im Cockpit der „Bar“ ELMO.

Und auch das ist Heimat!

Hallo Valencia – schön wieder da zu sein! 

Der Flieger bringt mich ganze sechs Wochen später wieder zurück zu ELMO. Meiner Mutter geht es so weit wieder gut und ich kann, voller Vorfreude auf Matthias, die Stufen zum Flugzeug hinauftapsen. Auch wenn es kein schöner Grund war, der mich in Deutschland gehalten hat, war die Zeit gut. Es war das Richtige – in dem Moment, für meine Mutter und für mich. Und es hat mir noch etwas gezeigt – auch wenn man für eine gewisse Zeit weg und raus ist, man kann immer wieder in sein soziales Umfeld einsteigen, aber genau das macht wahrscheinlich Familie und gute Freunde aus – es ist schön, das zu wissen! Danke!

Mit Handgepäck und Kribbeln im Bauch geht es durch die Schiebetüre, unter dem Schild mit der Aufschrift „Salida“, rein ins fast schon heimische Valencia. Nach ein paar Sekunden finden meine Augen, wonach sie gesucht haben. Matthias!!! Zumindest scheint es so, dass es Matthias ist, denn der Bart hat sich in den letzten Wochen wohl verfünffacht.

Nach einem kurzen Fühl-, Riech- und Stimmtest kann ich mir sicher sein – hinter der Bartpracht verbirgt sich mein Freund.

Wir liegen uns mit ein paar kleinen Tränchen in den Augen in den Armen und sind einfach nur froh uns wieder zu haben. Ein Bisschen blass um die Nase ist er, hat seit gestern Abend nichts mehr gegessen. Das schreit nach einem Burgeressen in trauter Zweisamkeit, etwas unromantisch in einer Hostelkantine, aber widererwartend sehr lecker, nicht weit vom Hafen entfernt. ELMO chillt in der Marina als wir am späten Nachmittag ankommen.

Auch hier hat es Nebel. In der Nacht sieht der Hafen wahnsinnig schön aus. All die verrückten Szenen …

… die Elemente, die im Nebel sanft verschwinden …

… die Lichter …

… und die Farben.

„In den nächsten Tagen sind wir mal richtig aktiv!“ Nehmen wir uns vor. Das geht genau einen Tag gut. Yoga nach dem Aufstehen auf dem Pontoon, ein paar Sachen wegräumen und schon werden die Leinen losgeworfen. Wir fahren mit ELMO raus, ich bekomme Trainingsstunden im Manövrieren im Hafen. Wenden auf kleinem Raum – check. Rückwärts Anlegen – ein von zwei Mal check. Ausparken aus der Box – check. Am nächsten Morgen liegen wir beide mit einer dicken Erkältung für die nächsten sieben Tage im Bett, bis alle Gräten weh tun. Irgendwann wird aber das Liegen und Wenden und Liegen und Wenden, zwischendurch mal einen Tee mit Ingwer aufbrühen, auf die Play-Taste drücken und liegen und wenden nervig. Es muss wieder was passieren! Die Klappfahrräder gesattelt, trampeln wir mit den Nachbarn in die Stadt.

Millau ist auch wieder mit von der Partie

Mercado Central

Den Hauptteil der Strecke fahren wir durch das alte Flussbett des Río Turia.

Der Fluss, der ins Mittelmeer mündet, wurde vor längerer Zeit umgeleitet. Er hat wohl die Stadt mehrfach so stark überschwemmt, dass in der Stadt selber verheerende Schäden entstanden sind. Heute kann man im sogenannten Jardín del Turia auf wunderbaren Radstrecken durch das unglaublich toll hergerichtete, alte Flussbett fahren oder per Pedes 9 km um Valencia laufen. Unzählige Parks, Sport- und Freizeitmöglichkeiten, romantische Eckchen, Gärten vollgepackt mit Kunst, tolle Architektur und allerhand grüne Fleckchen entdeckt man dort am laufenden Band. Zur Stärkung gibt es ein spanisches Mittagessen mit Blick auf den Mercado Central. Zum Bersten gefüllt entschließen wir uns, die Kiwis zu Decathlon zu begleiten und ein paar Minuten später stehe ich schon fluchend sowie schwitzend in der Kabine um mich in einen Wetsuit hineinzupressen, der momentan im Sale ist.

Etwas unsexy, wenn auf jedes Röllchen nochmal 5mm Neopren kommen.

Ich sehe aus wie eine prall gefüllte Mettwurst, aber seinen Dienst wird er wohl hoffentlich tun (die nächste E-Zigarette, die ich ins Wasser schmeiße, kann ich mir nun selber heraustauchen). Die nächsten Tage verbringen wir damit, ELMO ein wenig zu bewegen und für das Planen. Damit der Hafenkoller uns nicht nochmals in seinen Klauen gefangen hält, wollen wir einen Mietwagen-Roadtrip zur Alhambra starten. Die grob geplante Route wird uns durch Murcia, Guadix, Granada, Almeria und Cartagena führen. Also Leute – falls ihr irgendwelche Tipps habt, die auf der Strecke liegen – immer her damit. 😉

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